Und das gibt´s Neues aus dem Projektalltag der Fredericks

09/12/2020

… habt ihr uns vermisst? Und was denkt eigentlich unser Regisseur über uns? Hier ein Rückblick und Statusbericht von unserem Regisseur Martin Kreidt.

Bericht

Frederick Ensemble Witten 03/20 – 12/20

 

Als ich die Gruppe Anfang März 2020 kennen lernte, bestand sie zur Hälfte aus MuttersprachlerInnen, zur Hälfte aus Menschen mit Migrationshintergrund, deren Sprachstand sehr einfach war. Kurz darauf kam der erste Lockdown, sodass wir unsere Arbeit unterbrechen mussten. Wir hielten Kontakt über zwei Zoom- Treffen pro Woche, in dem wir mit dem Bildschirm spielten. Es entstanden witzige Dinge. Durch den großen Unterschied in der Sprache wurde schnell klar, dass es vorrangig nicht das Verbale ist, dass uns verbindet. Vor den Computern kam dem körperlichen, rhythmischen expressivem Ausdruck eine besonders verbindende Bedeutung zu. Ab Juni konnten wir unter den entsprechenden Hygienebedingungen wieder in einem Raum arbeiten.

Die Zusammensetzung der Gruppe erwies sich als Glücksfall. Natürlich förderte die intensive Arbeit den sozialen Zusammenhalt. Man rückte zusammen, unternahm etwas privat, man sprach miteinander. Ich meine, etwas Besseres kann einem jungen Menschen, die/der neu in diesem Land und der Sprache kaum mächtig ist, wenig Kontakt sonst zu Muttersprachlern hat, kaum passieren. Die Gruppe wuchs zusammen, übernahm auch verantwortlich Aufgaben. Man kümmerte sich um sich. Nach den Proben übten die MuttersprachlerInnen mit ihren MitspielerInnen den Stücktext.

Wir entschieden uns im Juni dafür, „Der Jasager und der Neinsager“ von Bertolt Brecht öffentlich so aufzuführen, wie es unter den gegeben Bedingungen möglich war – in Freiluft und mit entsprechendem Abstand. Das Stück, das unter anderem von einer Seuche handelt, schien inhaltlich wie sprachlich geeignet. Auch wenn man es bei Brecht nie sagen kann, ist es sprachlich einfach und von überschaubarer Länge, also für die nicht so Sprachmächtigen machbar. Trotzdem stellte es an sie hohe Anforderungen. Sie haben hart gearbeitet. Sie haben es geschafft. Dieser Erfolg ist für diejenigen, die einen Eingang in dieses Land suchen, nicht zu unterschätzen. Und auch für die deutschen jungen Menschen des Ensembles wurde dieser Prozess, ihn zu erleben, ihn zu unterstützen, Teil von ihm zu sein, eine besondere Erfahrung.

Das Stück stellte auch theatralisch hohe Ansprüche. In seiner Strenge, seinen Setzungen, seiner Reduktion erinnert es an griechische Tragödien. Es gibt Protagonisten und den Chor, der bei den bestehenden Abstandsregeln eine besondere Herausforderung war. Die Darsteller hatten im Chor nicht die Sicherheit des Pulks. Sie mussten präzise über Distanz funktionieren, was eine besondere Achtung aufeinander erforderte. Auch hier gab es, sprachunabhängig stärkere und schwächere Ensemblemitglieder. Indem die Stärkeren Verantwortung übernahmen, konnten sich die Schwächeren an ihnen orientieren.

Da der Ansatz nicht über den Text gehen konnte, gab es in den ersten zwei Monaten eine Grundschulung, die die Darstellern zu körperlichen Spielern machte. So konnten sie den Text aufnehmen. So konnten sie ihn ebenso alleine als Protagonist wie gemeinsam im Chor verkörpern. Es war gelegentlich kleinteilige und mühsame Arbeit, für die alle ein gewisses Durchhaltevermögen benötigten. Aber das Gute war: Jede/r sah, wenn es nicht präzise war, jeder hörte Unsauberkeit im Chor, spürte Unentschiedenheit im Spiel. Bei sich – bei den anderen. Dass sich am Ende der Weg gelohnt hat, dass dem Ensemble in drei Vorstellungen Ende September ein besonderer Abend gelungen ist, gehört zu den stärkenden Erfahrungen für alle Beteiligte.

Dann kam der zweite Lockdown im November. An Veranstaltungen mit Publikum war nicht zu denken. Wir entschlossen uns, einen digitalen Adventskalender, 24 kurze Clips mit Gedichten von Berthold Brecht zu produzieren. Es war und ist daher eine Herausforderung, in relativ kurzer Zeit eine Reihe von (kurzen) Texten zu verstehen, zu besprechen, sie zu sprechen, bzw. spielerisch darzustellen. Die spannende Frage ist die: Bringt es etwas, sprachlich von oben heran zu gehen, also Teilnehmende mit wenig Kenntnissen mit einer Kunstsprache auf hohem Niveau zu konfrontieren? Hat diese Sprachkunst vielleicht etwas – anderes?

Es ist zu früh, abschließende Schlüsse zu ziehen. Eines jedoch ist zu beobachten: Alle sind hochkonzentriert dabei, sie üben die Texte und sind in der Lage, sie ausdruckstark und verständlich zu lesen. Auch bieten die Besprechungen und die Erarbeitung des Verständnisses der Gedichte immer wieder Gelegenheit zu Gesprächen und Diskussionen, da sie häufig grundlegende Fragen behandeln, die sich auf Lebenssituationen übertragen lassen. Es entstehen Dialog zwischen ihnen, die ernst und sehr lustig sind.

 

Martin Kreidt 12/20

… did you miss us? Read a review and status report from our director Martin Kreidt.

Report

Frederick Ensemble Witten 03/20 – 12/20

 

When I got to know the group at the beginning of March 2020, half of them were native speakers and the other half were people with an immigration background whose language level was very basic. Shortly afterwards, the first lockdown came, so we had to interrupt our work. We kept in touch via two zoom meetings per week, playing with the screen. Funny things started to happen. Because of the big difference in language, it quickly became clear that it is not primarily the verbal aspect that connects us. In front of the computers, physical, rhythmic expressive expression had a particularly connecting meaning. From June on, we were able to work in one room again under the proper hygienic conditions.

The composition of the group proved to be a stroke of luck. Of course the intensive work promoted social cohesion. O I think that nothing better could happen to a young person who is new to this country and the language, who has little contact with native speakers. The group grew together and took over responsible tasks. They took care of themselves. After the rehearsals, the native speakers practiced the play text with their teammates.

In June, we decided to perform „Der Jasager und der Neinsager“ by Bertolt Brecht in public as it was possible under the given conditions – in the open air and at an appropriate distance. The piece, which is about an epidemic, among other things, seemed suitable in terms of content and language. Even if one can never say it with Brecht, it is linguistically simple and of manageable length, i.e. it is feasible for those not so linguistically powerful. Nevertheless it made high demands on them. They worked hard. They have made it. This success is not to be underestimated by those who seek an entrance into this country. And also for the German young people of the ensemble this process of experiencing it, supporting it, being part of it, became a special experience.

The play also set high theatrical standards. In its severity, its settings, its reduction, it is reminiscent of Greek tragedies. There are protagonists and the choir, which was a particular challenge given the existing rules of distance. The performers in the choir did not have the security of the crowd. They had to function precisely over distance, which required a special respect for each other. Here, too, there were stronger and weaker ensemble members, regardless of language. As the stronger ones took over responsibility, the weaker ones could orient themselves by them.

Since the approach could not go beyond the text, there was a basic training in the first two months, which turned the performers into physical players. This enabled them to absorb the text. They could thus embody it both alone as protagonists and together in a choir. It was occasionally small-scale and laborious work, for which everyone needed a certain amount of persistence. But the good thing was: everyone could see when it was not precise, everyone heard uncleanliness in the choir, felt indecisiveness in the play. With themselves – with the others. The fact that in the end the journey was worthwhile, that the ensemble succeeded in creating a special evening in three performances at the end of September, is one of the strengthening experiences for all those involved.

Then came the second lockdown in November. Events with an audience were impossible to think of. We decided to produce a digital Advent calendar, 24 short clips with poems by Bertolt Brecht. It was and is therefore a challenge to understand, discuss, speak and playfully present a series of (short) texts in a relatively short time. The exciting question is this: Is there any benefit in approaching linguistically from above, i.e. to confront participants with little knowledge with an artificial language at a high level? Does this language art perhaps have something – something else?

It is too early to draw final conclusions. But one thing can be observed: Everyone is highly concentrated, they practice the texts and are able to read them expressively and understandably. The reviews and the development of an understanding of the poems also provide a constant opportunity for conversation and discussion, as they often deal with fundamental questions that can be applied to life situations. Dialogue is created between them, which is serious and very funny.

Martin Kreidt 12/20

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